I. Einleitung

Mit BGBl I 147/2021 vom 26. Juli 2021 (zu den parlamentarischen Materialien gelangen Sie hier) wurde das lange erwartete und bereits im Vorfeld intensiv diskutierte Bundesgesetz über die Restrukturierung von Unternehmen (Restrukturierungsordnung – ReO) kundgemacht. Das Bundesgesetz setzt die Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz (Restrukturierungsrichtlinie – RIRL) um und tritt (rückwirkend) am 17.07.2021 in Kraft. Es ergänzt den bestehenden, in Österreich bislang nur schwach ausgeprägten Präinsolvenz-Rechtsrahmen zur Sanierung von Unternehmen.

II. Überblick über bestehende Präinsolvenzverfahren

Das österreichische Recht kennt derzeit insbesondere folgende zwei Verfahrensarten, welche sich (zumindest in Teilbereichen) dem Präinsolvenz-Bereich zuordnen lassen:

Insolvenzverfahren können (nicht nur als Konkursverfahren, sondern auch) als Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung durchgeführt werden. Da der Schuldner ein Sanierungsverfahren bereits bei („bloß“) drohender Zahlungsunfähigkeit beantragen kann (§ 167 Abs 2 IO), kann das Sanierungsverfahren insofern als ein (als Insolvenzverfahren: öffentliches) „Präinsolvenzverfahren“ bezeichnet werden. Ziel von Sanierungsverfahren ist der Abschluss eines Sanierungsplans, welcher im Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung zumindest eine 30 % Quote für Insolvenzforderungen innerhalb von zwei Jahren vorsehen muss, im Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eine 20 % Quote.

Ein „idealtypisches“ Präinsolvenzverfahren hält das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) bereit. Es schafft für reorganisationsbedürftige, aber (noch) nicht insolvente Unternehmen die Möglichkeit, die Einleitung eines Reorganisationsverfahrens zu beantragen. Im Reorganisationsverfahren behält der Schuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, wird aber unter Aufsicht eines sogenannten Reorganisationsprüfers gestellt. Das Reorganisationsverfahren ist nicht öffentlich, hält aber (insbesondere) keine Entschuldungsinstrumente für den Schuldner bereit. Obwohl das Unternehmensreorganisationsgesetz bereits am 01.10.1997 in Kraft getreten ist, haben sich dessen (fakultativen) Verfahrensbestimmungen bis heute nicht durchgesetzt, sodass das Reorganisationsverfahren als „totes Recht“ bezeichnet wird.

III. Voraussetzungen eines Restrukturierungsverfahrens

Das Restrukturierungsverfahren steht ausschließlich Unternehmen und Unternehmern offen (die Richtlinie hätte einen weiteren Anwendungsbereich zugelassen).

Die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens setzt eine wahrscheinliche Insolvenz voraus. Die wahrscheinliche Insolvenz liegt vor, wenn der Bestand des Unternehmens ohne Restrukturierung gefährdet wäre. Dies ist insbesondere bei drohender Zahlungsunfähigkeit gegeben (welche vermutet wird, wenn die Eigenmittelquote 8 % unterschreitet und die fiktive Schuldentilgungsdauer 15 Jahre übersteigt), welche bereits bisher die Redepflicht des Abschlussprüfers nach § 273 Abs 3 UGB ausgelöst hat. Es darf im insolvenzrechtlichen Sinn bereits Überschuldung (nicht unproblematisch!), aber noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegen.

Die ReO sieht Ausschlussgründe für die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens vor:

  • anhängiges Insolvenzverfahren
  • bestätigter Restrukturierungs- oder Sanierungsplan in den letzten 7 Jahren
  • (grundsätzlich auch:) rechtskräftige Verurteilung wegen Bilanzfälschung

IV. Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens

Anders als ein Konkursverfahren kann ein Restrukturierungsverfahren nur auf Antrag des Schuldners, nicht aber auf Antrag eines Gläubigers eingeleitet werden. Der Gesetzgeber macht von dem Richtlinien-Spielraum, erweiterte Antragsrechte vorzusehen, nicht Gebrauch.

Der Schuldner hat im Antrag das Vorliegen der wahrscheinlichen Insolvenz darzulegen (im Ministerialentwurf war dieses Erfordernis noch nicht vorgesehen). Dem Antrag sind folgende Unterlagen anzuschließen:

  • Restrukturierungsplan oder zumindest ein Restrukturierungskonzept
  • unterfertigter Finanzplan für die folgenden 90 Tage
  • Jahresabschlüsse der letzten drei Jahre

Wird mit dem Einleitungsantrag noch kein Restrukturierungsplan vorgelegt, ist eine Frist von höchstens 60 Tagen zur Vorlage des Restrukturierungsplans einzuräumen.

In Bezug auf die Gerichtszuständigkeit nutzt die ReO die Spezialisierung und die Erfahrungen der Insolvenzgerichte und beruft diese auch für Restrukturierungsverfahren. Damit ist für das Restrukturierungsverfahren jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Schuldner im Zeitpunkt der Antragstellung sein Unternehmen betreibt. Es wird also nicht auf den satzungsgemäßen Sitz, sondern auf den Ort des tatsächlichen Unternehmensbetriebs (COMI) abgestellt.

In Bezug auf die Bekanntmachung räumt die ReO dem Schuldner ein Wahlrecht ein: Die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens ist nur auf Antrag des Schuldners vor Einleitung öffentlich bekannt zu machen (§ 44 ReO). Der Vorteil der Bekanntmachung liegt vor allem darin, dass das Verfahren diesfalls der EuInsVO unterliegt („europäisches Restrukturierungsverfahren“) und damit in der gesamten EU anerkannt wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass eine allgemeine Vollstreckungssperre bewilligt werden kann.

Sind ausschließlich Finanzgläubiger betroffen und hat eine Mehrheit von mindestens 75 % der Gläubiger an Kapital in jeder Gläubigerklasse zugestimmt, kann das Restrukturierungsverfahren als vereinfachtes Restrukturierungsverfahren durchgeführt werden (§ 45 ReO). Dabei handelt es sich um eine nicht in der Richtlinie vorgegebene Besonderheit im österreichischen Gesetz. Im vereinfachten Verfahren hat das Gericht bloß über die Bestätigung einer – von den Gläubigern außergerichtlich unterschriebenen – sogenannten „Restrukturierungsvereinbarung“ (entspricht inhaltlich einem Restrukturierungsplan) zu entscheiden, ohne ein Restrukturierungsverfahren einzuleiten und durchzuführen (prevoted prepackaged insolvency).

V. Eigenverwaltung & Restrukturierungsbeauftragter

Um Schuldnern einen Anreiz zu bieten, bei finanziellen Schwierigkeiten frühzeitig die präventive Restrukturierung zu beantragen, sieht die ReO vor, dass grundsätzlich der Schuldner die Kontrolle über seine Vermögenswerte und den Betrieb des Unternehmens behalten soll (Eigenverwaltung).

Unter Umständen ist dem Schuldner allerdings ein Restrukturierungsbeauftragter beizustellen.

Zwingende Bestellung:

  • Vollstreckungssperre
  • klassenübergreifender Cram-down
  • Antrag einer Mehrheit der Gläubiger
  • wenn Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird

Fakultative Bestellung (Ermessen des Gerichts; demonstrative Aufzählung):

  • zur Prüfung einer Zwischenfinanzierung, Transaktion oder neuen Finanzierung
  • zur Erstattung eines Berichts über die voraussichtlichen Ergebnisse der Durchführung eines Insolvenzverfahrens
  • bei Festlegung von Verfügungsbeschränkungen
  • zur Prüfung bestrittener Forderungen

Als Restrukturierungsbeauftragte kommen unter anderem Rechtsanwälte, Unternehmensberater und Wirtschaftstreuhänder in Betracht. Der Restrukturierungsbeauftragte muss vom Schuldner und den Gläubigern unabhängig sein und darf kein naher Angehöriger oder Konkurrent des Schuldners sein.

Dem Gericht hat zudem die Möglichkeit der Einschränkung der Eigenverwaltung des Schuldners. Es kann dem Schuldner für die Dauer des Restrukturierungsverfahrens bestimmte Rechtshandlungen überhaupt oder ohne Zustimmung des Gerichts oder des Restrukturierungsbeauftragten verbieten.

VI. Restrukturierungsplan

Herzstück des Restrukturierungsverfahrens ist der zu beschließende Restrukturierungsplan. Dieser kann (ähnlich dem Sanierungsplan im Insolvenzverfahren) vorsehen, dass die betroffenen Forderungen gekürzt werden – ein „Novum“ im Vorinsolvenzstadium. Nicht vorgesehen ist (vielfach kritisiert) ein zwingender Beitrag allfälliger Gesellschafter (Aktionäre) des Schuldners. Auch eine einseitige Auflösung oder Anpassung bestehender Verträge kann durch einen Restrukturierungsplan nicht bewirkt werden.

Große Schuldnerunternehmen (nicht KMU) haben die Gläubiger im Restrukturierungsplan in Klassen einzuteilen. Das Insolvenzverfahren kennt dagegen seit 1982 keine Gläubigerklassen mehr („klassenlose Insolvenz“). Eine Klasse bilden auch Gläubiger mit besicherten Forderungen. Auch deren Forderungen können beachtlicherweise durch den Restrukturierungsplan gekürzt werden.

Vom Restrukturierungsverfahren ausgeschlossen sind unter anderem Arbeitnehmerforderungen und nach Verfahrenseinleitung entstehende Forderungen.

Über die Annahme des Restrukturierungsplans ist durch die betroffenen Gläubiger abzustimmen. Der Schuldner hat zu bescheinigen, dass er den Restrukturierungsplan an alle betroffenen Gläubiger übermittelt hat. Die bevorrechteten Gläubigerschutzverbände sind – anders als im Insolvenzverfahren – nur auf Antrag des Schuldners beizuziehen.

Zur Annahme eines Restrukturierungsplans ist eine doppelte Mehrheit erforderlich: Mehrheit der Gläubiger in jeder Klasse und 75 % der Gesamtsumme der Forderungen in dieser Klasse. Wenn eine Zustimmung nicht in allen Klassen erreicht wird, kann der Plan aufgrund eines klassenübergreifenden „Cram-Down“ bestätigt werden, sofern ablehnende Klassen gleichgestellt werden wie gleichrangige Klassen und bessergestellt als nachrangige Klassen (relative priority rule).

Anders als für den Sanierungsplan im Insolvenzverfahren ist für den Restrukturierungsplan keine Mindestquote vorgeschrieben. Die Interessen überstimmter Gläubiger werden durch das Kriterium des Gläubigerinteresses geschützt. Kein ablehnender Gläubiger darf schlechter gestellt werden als im Liquidationsfall oder im Fall des nächstbesten Alternativszenarios (z.B. Sanierungsplan). Mittelbar kann für den Restrukturierungsplan daher die Mindestquote für Sanierungspläne (20 % oder 30 %) gelten.

Gläubiger, die an der Annahme des Plans nicht beteiligt waren, werden vom Plan (nur) dann miterfasst, wenn sie sich trotz Übermittlung des Plans oder Ladung zur Restrukturierungsplantagsatzung nicht am Verfahren beteiligt haben.

VII. Zwischenfinanzierungen

Der Erfolg eines Restrukturierungsplans hängt häufig davon ab, dass dem Schuldner finanzielle Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Diese soll erstens den Betrieb des Unternehmens während der Restrukturierungsverhandlungen und zweitens die Umsetzung des Restrukturierungsplans nach dessen Bestätigung unterstützen. Solche Finanzierungen sollen attraktiver gemacht werden, indem deren Anfechtung bei späterer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zurückgedrängt wird.

Auf Antrag des Schuldners hat das Gericht solche neuen finanziellen Unterstützungen zu genehmigen, wenn sie angemessen sowie unverzüglich notwendig sind, damit das Unternehmen des Schuldners seinen Betrieb fortsetzen kann oder der Wert dieses Unternehmens erhalten oder gesteigert wird (Zwischenfinanzierung). Genehmigt werden können auch bestimmte Zahlungen (z.B. Kosten für die Inanspruchnahme professioneller Beratung in engem Zusammenhang mit der Restrukturierung). Solche genehmigten Finanzierungen und Transaktionen sind dann insolvenzrechtlich nur beschränkt anfechtbar (partieller Anfechtungsschutz). Da bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit eine Anfechtbarkeit aber weiterhin gegeben ist, ist der Nutzen dieser – gegenüber dem Ministerialentwurf noch adaptierten – Regelung aber fraglich.

VIII. Vollstreckungssperre

Das Gericht hat auf Antrag des Schuldners zur Unterstützung der Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens anzuordnen, dass Anträge auf Bewilligung der Exekution auf das Vermögen des Schuldners nicht bewilligt werden dürfen und kein richterliches Pfand- oder Befriedigungsrecht erworben werden darf (Vollstreckungssperre). Die Höchstdauer der Vollstreckungssperre beträgt grundsätzlich 3 Monate; eine Verlängerung auf insgesamt 6 Monate ist aber möglich. Die Vollstreckungssperre kann sich auf einzelne Gläubigerklassen beschränken. Eine Prozesssperre und einen Zinsstopp sieht die ReO nicht vor.

Gläubiger, für die die Vollstreckungssperre gilt, dürfen in Bezug auf vor der Vollstreckungssperre entstandene Forderungen und allein aufgrund der Tatsache, dass die Forderungen vom Schuldner nicht gezahlt wurden, nicht Leistungen aus wesentlichen noch zu erfüllenden Verträgen verweigern oder diese Verträge vorzeitig fällig stellen, kündigen oder in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners ändern (Vertragsschutz, ähnlich den insolvenzrechtlichen Regelungen). Entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind unzulässig.

Die Verpflichtung des Schuldners, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung zu beantragen, ruht während der Vollstreckungssperre (samt weitgehendem Entfall der an die Überschuldung anknüpfenden Haftung gemäß § 84 Abs 3 Z 6 AktG und § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG). Die Haftung nach § 22 Abs 1 URG entfällt, wenn die Mitglieder des vertretungsbefugten Organs unverzüglich nach Erhalt des Berichtes des Abschlussprüfers über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vermutung eines Reorganisationsbedarfs die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens beantragt und das Restrukturierungsverfahren gehörig fortgesetzt haben.

Tritt Zahlungsunfähigkeit während des Verfahrens ein (oder lag sie bei Einleitung vor) und wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, hat das Gericht – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – ein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Davon hat es aber (nur) abzusehen, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Berücksichtigung der Umstände des Falles nicht im allgemeinen Interesse der Gläubiger wäre, also die Einigung über einen Restrukturierungsplan unmittelbar bevorsteht.

IX. Schlussbetrachtung

Mit der Restrukturierungsordnung betritt der Gesetzgeber – für österreichische Verhältnisse – Neuland. Speziell die Möglichkeit, bereits vor Insolvenzeintritt in einem potentiell sogar nicht öffentlichen Verfahren auch gegen den Willen einzelner Gläubiger eine Entschuldung (ohne Mindestquote!) zu erwirken, kann für Unternehmen in der Krise attraktiv sein. Steuerlich ist der Restrukturierungsplan gegenüber (hinsichtlich Sanierungsgewinnen privilegierten) Sanierungsplänen noch „benachteiligt“. Es wird mit Spannung zu verfolgen sein, inwieweit dieses neue Sanierungs-„Tool“ von der Praxis tatsächlich angenommen werden wird.

Insbesondere dann, wenn der Abschlussprüfer auf die Vermutung eines Reorganisationsbedarfs hinweist, sollte ein Restrukturierungsverfahren ernsthaft in Betracht gezogen werden. Metzler & Partner Rechtsanwälte stehen Ihnen mit ihrer insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Expertise für Anliegen gerne zur Verfügung.