Gemäß § 9 Abs 1 WEG sind die Nutzwerte durch das Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbau- oder das Immobilienwesen zu ermitteln. Der Nutzwert ist eine Maßzahl und drückt das Verhältnis eines Wohnungseigentumsobjektes zu den anderen Wohnungseigentumsobjekten derselben Liegenschaft aus. Eine abweichende Festsetzung durch das Gericht kommt in den Fällen des Abs 2 leg cit in Betracht. Als Antragsteller sollte man dabei die in § 10 Abs 2 WEG genannten Fristen beachten. Der OGH hat sich in seiner zu 5 Ob 94/23v ergangenen Entscheidung mit zwei wesentlichen Themen befasst, nämlich zur „Identität der Sache“ und den Präklusionsfristen des § 10 WEG.

Zum Anlassfall

Die Antragstellerin beantragte bei der Schlichtungsstelle die Neufestsetzung der Nutzwerte auf Grund eines geplanten Umbaus des Dachbodens in Wohnraum und der Schaffung neuer Wohnungseigentumsobjekte. Im Zuge des Umbaus kam es jedoch zu Abweichungen von der rechtskräftig erteilten Baubewilligung, sodass auch insbesondere die eine bestehende Wohnung verändert wurde. Die Antragstellerin ließ daraufhin einen Auswechslungsplan erstellen und begehrte die Festsetzung der Nutzwerte auf Grundlage dieses Auswechslungsplans.

Die Schlichtungsstelle setzte die Nutzwerte auf Basis der rechtskräftig erteilten Baubewilligung und nicht auf Grundlage der im Verfahren vorgelegten Auswechslungspläne fest und begründete dies damit, dass diese nicht von sämtlichen Miteigentümern unterschrieben worden seien und daher nicht Grundlage der Nutzwertfestsetzung sein können.

Eine der Antragsgegner beantragte daraufhin die gerichtliche Nutzwertfestsetzung. Die Antragstellerin korrigierte ihren Antrag nach einem mehrjährigen Ruhen des Verfahrens anschließend dahingehend, dass die Nutzwerte nunmehr auf Grundlage des Auswechslungsplans festzusetzen sind.

Das Erstgericht wies den Antrag der Antragstellerin mit der Begründung ab, dass auf Grund der Modifizierung des Antrags die „Identität der Sache“ nicht mehr gegeben sei und die Antragstellerin daher ein neues Verfahren bei der Schlichtungsstelle einleiten hätte müssen. Außerdem sei die gerichtliche Nutzwertfestsetzung gemäß § 10 Abs 2 WEG im Fall des § 9 Abs 2 Z 2 WEG nur innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Baubewilligung und in den Fällen des § 9 Abs 2 Z 3 und 4 WEG nur innerhalb eines Jahres ab Vollendung der Bauführung möglich. Diese Fristen seien bereits abgelaufen. Weiters hielt das Erstgericht fest, dass die Aufzählung des § 9 Abs 2 WEG zwar nur demonstrativ sei, im zugrundeliegenden Sachverhalt jedoch kein Fall eines außerhalb der in § 9 Abs 2 WEG genannten Tatbestände anzunehmen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin statt, hob den Sachbeschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Drittantragsgegnerin beantragte im Revisionsrekurs, die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Sachbeschluss wiederherzustellen.

Zu den Ausführungen des OGH

  • Zur Identität der Sache

Zur „Identität der Sache“ sprach der OGH aus, dass die Tatsache der abweichenden Bauführung und die baurechtliche Notwendigkeit der Erstellung eines Auswechslungsplans nichts an der Identität der Sache, nämlich dem Begehren auf Nutzwertneufestsetzung auf Grund desselben Bauvorhabens ändert. Grundlage der Nutzwertfestsetzung ist die materielle Sach- und Rechtslage, sodass während des Verfahrens vorgenommene Änderungen in Gestalt (bloßer) Bauabweichungen grundsätzlich zu berücksichtigen sind, ohne dass jedoch der Antrag geändert oder erweitert werden müsse. Eine Grenze zieht der OGH jedoch dann, wenn die Änderungen so gravierend sind, dass nicht mehr von ein und demselben Bauvorhaben ausgegangen werden kann.

  • Zur Befristung der Antragstellung auf gerichtliche Nutzwertfestsetzung

Zur Befristung der Antragstellung auf gerichtliche Nutzwertfestsetzung hielt der OGH fest, dass mit der „Vollendung der Bauführung“ iSd § 10 Abs 2 WEG iVm § 9 Abs 2 Z 3 und 4 WEG nicht die ursprüngliche, sondern die spätere Bauführung gemeint ist (vgl auch schon 5 Ob 233/22h).

Zudem stellte der OGH klar, dass die Aufzählung des § 9 Abs 2 WEG bloß demonstrativ sei (arg „insbesondere“). In Einklang mit der Rsp hätten sich – neben den ausdrücklich normierten Tatbeständen – zwei weitere typische Fallgruppen entwickelt: Zum einen das „Hervorkommen der wahren Sachlage“ und zum anderen „Änderungen der Sachlage“. Im Fall eines Verstoßes gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung iSd § 9 Abs 2 Z 1 WEG sei der Antrag auf gerichtliche Nutzwertfestsetzung somit nicht fristgebunden und zwar auch dann, wenn das Abweichen dieser Grundsätze durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse herbeigeführt wurde oder die der Nutzwertfestsetzung widersprechende Sach- und Rechtslage erst nachträglich hervorgekommen ist.

Im Ergebnis teilte der OGH die Auffassung des Rekursgerichts.

Eine gerichtliche Nutzwertfestsetzung ist bereits dann statthaft, wenn die auf einem privatrechtlichen Konsens der Wohnungseigentümer beruhenden Änderungen voraussichtlich zulässig sind. Einer rechtskräftigen baubehördlichen Bewilligung bedarf es dafür nicht. Ein derartiges Erfordernis würde dem Zweck der Möglichkeit der Änderung nach den §§ 9, 10 WEG zuwiderlaufen.

Bei Fragen oder Anliegen steht Ihnen unser Team gerne zur Verfügung!