Zur Ausgangslage:
Wenn zwei natürliche Personen gemeinsam Wohnungseigentum erwerben, wird eine Eigentümerpartnerschaft (nach dem Wohnungseigentumsgesetz, kurz: WEG) begründet.
Stirbt einer der Miteigentümer, hat der überlebende Partner, der den Anteil des verstorbenen Partners kraft Gesetzes durch Anwachsung erwirbt, der Verlassenschaft die Hälfte des Verkehrswertes des Mindestanteils zu bezahlen – dies wird als Übernahmspreis bezeichnet. Eine solche Zahlungspflicht besteht nur dann nicht, wenn der überlebende Partner ein Pflichtteilsberechtigter des Verstorbenen ist und die Wohnung diesem zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient. Ist jedoch noch ein weiterer Pflichtteilsberechtigter vorhanden, hat der überlebende – ebenfalls pflichtteilsberechtigte – Partner ein Viertel des Verkehrswertes des Mindestanteils an die Verlassenschaft zu bezahlen, im Ergebnis also nur den halben Übernahmspreis (§ 14 Abs 3 Satz 2 WEG).
Fraglich ist, ob der Pflichtteilsanspruch des anderen Pflichtteilsberechtigten aufgrund des Übernahmspreises (= die Hälfte des Verkehrswertes des Mindestanteils) oder aufgrund des halben Übernahmspreises (= Viertel des Verkehrswerts des Mindestanteils) zu berechnen ist. Dies hat der OGH nun klargestellt.
Zum Anlassfall:
Im Anlassfall hinterließ der Erblasser eine Tochter und die zur Alleinerbin eingesetzte Ehefrau. Teil der Verlassenschaft war die dem Erblasser und der Ehefrau gehörige Wohnung. Die Tochter (Klägerin) begehrte von der nunmehrigen Witwe (Beklagte) – unter Zugrundlegung der Hälfte des Verkehrswerts des Mindestanteils und somit des Übernahmspreises – die Zahlung einer noch offenen Pflichtteilsforderung. Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und begründete dies damit, dass nur der an die Verlassenschaft zu zahlende halbe Übernahmspreis (= ein Viertel des Verkehrswerts des Mindestanteils) als Bemessungsgrundlage herangezogen werden könne.
Der OGH bestätigt die Entscheidung des Berufungsgerichts
Der Oberste Gerichtshof wiederholte zunächst, dass der Eigentumserwerb durch Anwachsung nach dem WEG bewirken würde, dass der Anteil des Erblassers am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum wegen des unmittelbaren, außerbücherlichen Eigentumsübergangs nicht in die Verlassenschaftsmasse fallen würde. Es würde sich weiters bei der Anwachsung nach dem WEG um ein wohnungseigentumsrechtliches Institut sui generis handeln, worauf die erbrechtlichen Regelungen gerade nicht anzuwenden seien (vgl. RIS-Justiz RS0082946 (T9)).
Die Pflicht des Erwerbers, den Übernahmepreis in Höhe der Hälfte des Verkehrswerts des Mindestanteils an die Verlassenschaft zu bezahlen, diene vielmehr dazu, den wertmäßigen Ausgleich für die Anwachsung des halben Mindestanteils sicherzustellen. Dadurch solle eine Benachteiligung der Erben, Pflichtteilsberechtigten und Gläubiger des Erblassers vermieden werden. Für eine Einbeziehung des gesamten Übernahmspreises in die Pflichtteilsberechnungsgrundlage mangele es an einer Gesetzeslücke – im Ergebnis bestätigte der OGH die Rechtsansicht des Berufungsgerichts.
Für die Praxis:
Der überlebende Partner kann auf die gesetzliche Anwachsung verzichten. Diesfalls wird jedoch das gesamte Wohnungseigentumsobjekt versteigert. Weiters können die beiden Partner für den Todesfall konkrete Vereinbarungen treffen.
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